Naturschutzfachliches LeitbildIn Bezug auf das Mittelrheintal sind primär die folgenden landschaftsprägenden Elemente hervorzuheben, deren Erhalt und Förderung gleichzeitig als zentrale Bestandteile eines übergeordneten Leitbildes zu erachten sind:
Weitere Vorgaben für das naturschutzfachliche Leitbild liefert der gesetzliche Auftrag des Naturschutzes. Demnach sind "Natur und Landschaft ... so zu schützen und zu pflegen, daß ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit nachhaltig gesichert sind" (BNatSchG §1). Ferner sind "historische Kulturlandschaften und Landschaftsteile in ihrer Eigenart zu erhalten" (BNatSchG §2). Diese gesetzliche Vorgabe findet sich in Bezug auf den Mittelrhein ebenso wie auf gesamtstaatlicher Ebene in den Empfehlungen oder Leitbildern aller neueren Planungen wieder. Damit sehen diese Leitbilder eine Aufrechterhaltung und Entwicklung kulturhistorisch gewachsener Strukturen und Biotoptypen vor. So wird auch der Erhalt bestimmter historischer Kulturlandschaften u.a. aus Gründen des Arten- und Biotopschutzes im gesamtstaatlichen Kontext als notwendig erachtet. Obwohl an die Gegebenheiten historischer Kulturlandschaften angelehnte Leitbilder in der Regel eine Nutzung erfordern, steht das naturschutzfachliche Interesse nicht selten im Konflikt mit aktuellen Nutzerinteressen. Ansätze zur Konfliktlösung können entweder auf einer Kompromißfindung oder auf räumlicher bzw. zeitlicher Entflechtung der divergierenden Interessen beruhen. Für reich gegliederte Landschaften empfehlen die Autoren die Kombination beider Strategien, d.h. ein flächendeckendes System von Grundzielen, in dem durch Vermeidung naturbelastender Nutzungsarten auch in der Nutzlandschaft eine möglichst hohe Biodiversität erreicht werden soll, sowie primär Naturschutzzielen zugeordnete Gebiete, in denen sich Nutzungen diesen Zielen unterordnen. Für den Mittelrhein wird eine solche Kombinationslösung als realistisch und sinnvoll erachtet. Diesen auf den Erhalt anthropozoogener Biotope ausgerichteten Ansätzen stehen neuere Tendenzen gegenüber, die den Schutz dynamischer bzw. anthropogen unbeeinflußter Prozesse und damit eine Förderung der Naturlandschaft fordern. Auch diese Strategien tragen einem gesetzlichen Auftrag, nämlich dem Schutz und der Förderung "der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes" (BNatSchG §1), Rechnung. Eine Entscheidung für "Kultur" oder "Natur" bzw. deren flächenmäßige Anteile in einem Landschaftsraum ist anhand des naturschutzfachlichen Wertes bzw. Potentials anthropozoogener und erwarteter natürlicher Biozönosen der jeweiligen Landschaften zu treffen. Im Hinblick auf die nachhaltige Sicherung der Artenvielfalt (BNatSchG §1) kommt den vielfältigen Offenlandbiotopen im Rheintal jedoch eine deutlich höhere Bedeutung zu. So bieten diese unterschiedlichen Biotoptypen weit mehr Arten Lebensraum, darunter auch ein deutlich höherer Anteil seltener und gefährdeter Arten. Dieser hohen Bedeutung steht entsprechend des generell für "periphere Landschaften" beschriebenen Trends ein zunehmender Verlust dieser Offenlandbiotope gegenüber. So hat die vermehrte Nutzungsaufgabe in den vergangenen Jahrzehnten zu einer starken Dominanz diverser Gebüsch- und (Vor-)Waldgesellschaften geführt. Da den Arten der Offenlandbiotope Ausweichmöglichkeiten – mit Ausnahme kleinflächiger Extremststandorte – fehlen, sind in der Folge drastische Artenverluste zu erwarten. Zwar sind auch xerotherme Waldgesellschaften aufgrund der bereits erwähnten naturschutzfachlichen Wertigkeiten durchaus erhaltens- und schützenswert, doch haben die beschriebenen Entwicklungen zu einer naturschutzfachlich nicht aktzeptablen Reduktion der Offenstandorte zugunsten von Gehölzgesellschaften geführt. Zudem sind die Gehölzsukzessionen ebenso wie die teilweise recht langlebigen "Grasstadien" der Weinbergsbrachen aus vegetationskundlicher Sicht vergleichsweise artenarm. Gegenüber den verschiedenen Offenlandbiotopen stellen diese Brachestadien hinsichtlich der Artenvielfalt und -seltenheit keine nur annähernd gleichwertigen Lebensräume dar. Das Gros der Arten offener Xerothermstandorte benötigt zudem infolge des häufig (sub-) mediterranen oder kontinentalen Verbreitungsschwerpunktes hohe Wärmesummen, die nur in großflächigen, beschattungsfreien Offenlandschaften erreicht werden. So hat der Offenheitsgrad der Landschaft neben populationsbiologischen (z.B. hinsichtlich Populationsgröße, Fragmentierung, Isolation) auch klimatische Auswirkungen, die kleinräumig selbst das Mesoklima beeinflussen können. Bei zunehmender Verbuschung und Bewaldung nimmt die Bodenrauhigkeit zu, Winde werden infolgedessen abgeschwächt, wodurch wiederum die Evapotranspiration vermindert wird – die Standorte sind folglich weniger trocken. Auch Hangzirkulationen werden bei Verbuschung durch die geringere Aufheizung des Schiefers verändert. Als Folge dieser kleinklimatischen Veränderungen können möglicherweise selbst Zönosen primär waldfreier Standorte beeinflußt werden. Für den langfristigen Erhalt der xerothermen Offenlandzönosen ist in der Konsequenz ein im Vergleich zur heutigen Situation deutlich höherer Offenheitsgrad der Landschaft zu fordern. Alternative Aspekte zu bestehenden naturschutzfachlichen Leitbildern für das MittelrheintalEine Präzisierung des übergeordneten Leitbildes eines Erhaltes bzw. einer Förderung der "landschaftlichen Eigenart" des Mittelrheintales führt vor dem Hintergrund der naturschutzfachlichen Qualitäten und einer Orientierung an der historischen Kulturlandschaft zu folgendem naturschutzfachlichen Leitbild: Erhalt und Ausdehnung der Offenlandbiotope im Bereich der Xerothermstandorte sowie der charakteristischen Xerothermgesellschaften und -arten des Mittelrheins. Dieses Leitbild entspricht damit weitgehend den bestehenden Zielformulierungen für das Mittelrheintal. Dem Konsens in den übergordneten Zielen ordnen sich jedoch verschiedene Teil- bzw. Umweltqualitätsziele unter, die mehr oder weniger stark von vorhandenen Planungen abweichen:
Mit Ausnahme einer weinbaulichen oder alternativen Nutzung von Weinbergslagen gelten diese Ziele zunächst gleichermaßen sowohl für die Steil- und Steilstlagen als auch für den Bereich der Hangschultern. Eine weitere Differenzierung der Hangbereiche muß im Rahmen der konkreten Maßnahmenformulierung erfolgen. Erwünscht ist dabei durchaus ein Nebeneinander dieser alternativen Offenhaltungsstrategien sowie der verschiedenen Sukzessionsstadien. So existierte auch in der historischen Kulturlandschaft ein Nebeneinander von Wein- und Obstbau sowie Niederwaldnutzung, von Weide, Mahd und Brennholznutzung; Brände, Brache, Sukzession und erneute Nutzung prägten im zeitlichen und räumlichen Wechsel die Landschaft und Zönosen des Mittelrheins. Durch eine solche zeitliche und räumliche Verquickung von Nutzungen und Prozessen kann zudem den unterschiedlichen Kriterien einer zumindest aus ökologischer Sicht nachhaltigen Entwicklung Rechnung getragen werden. |